Früher, als es noch keine E-Mails und keinen Fachkräftemangel gab, war eigentlich alles ganz einfach: Man hat mögliche Gesprächspartner*innen angerufen, gesagt, was man will und entweder spontan seine Fragen gestellt oder einen Termin ausgemacht, an dem man sich in Ruhe unterhalten konnte. Später wurde es dann normal, dass man die Fragen möglichst vorab per Mail schickte, damit sich die Gesprächspartner*innen vorbereiten konnten. Irgendwann habe ich den Ankündigungstelefonanruf weggelassen und gleich eine Mail geschickt mit meinen Fragen und den Zeiten, zu denen mir ein Gesprächstermin passen würde.
Dann fingen Gesprächspartner*innen an, die Fragen per Mail zu beantworten, was ich oft für überflüssig halte, weil ich so nicht nachfragen kann. Ich finde, den Texten geht durch schriftliche Antworten die Lebendigkeit verloren.
Jetzt sind wir wohl aufgrund des Fachkräftemangels und eines hohen Krankenstands in einer Zeit angekommen, wo jedes Hintergrundgespräch zu einem ausgewachsenen Problem werden kann. Ich habe das innerhalb der letzten vier Monate gleich zweimal heftig zu spüren bekommen.
Fachkräftemangel? Pressestellen geben keine Antworten
Beim ersten Artikel für eine Sonderausgabe einer großen überregionalen Zeitung ging es darum, fünf Best Practice Unternehmen mit ihren Innovationsideen vorzustellen. Dazu hatte ich pro Unternehmen lediglich zwei bis drei Fragen, denn alle sollten mit nur jeweils 1500 Zeichen vorgestellt werden. Der zeitliche Vorlauf lag zu Beginn bei etwa eineinhalb Wochen. Unfassbarerweise liegt das E-Mailaufkommen für die Recherche dieser fünf Unternehmen bei über 100 gesendeten und empfangenen.
Wie es zu den vielen E-Mails kam
Unternehmen 1
Ein Unternehmen, das ein hochinnovatives Produkt herstellt, wollte wissen, wann der Artikel erscheint, bevor sie mir sagen konnten, ob sie mir antworten werden. Das weiß ich als Freie üblicherweise nicht, also musste ich nachfragen. Bei der nächsten Mail sollte zusätzlich geklärt werden, ob der Artikel online oder Print erscheinen wird. Dann wurde die Sonderausgabe vom Vorjahr erbeten. Im nächsten Schritt sollte ein Termin für ein telefonisches Vorgespräch ausgemacht werden, was ich ausgeschlagen habe. Daraufhin bekam ich die Antwort, dass nicht sicher sei, ob der Gesprächstermin stattfinden könne, weil die Verantwortliche in Urlaub sei. Letztendlich hat es aber geklappt.
Unternehmen 2
Das zweite Unternehmen kommt aus der Lebensmittelindustrie und hat eine Agentur zwischengeschaltet. Diese hat meine erste Mail einfach ignoriert und im weiteren Verlauf zwar einen Termin ausgemacht, mir aber nicht wie gewünscht die Telefonnummer geschickt, die ich anrufen sollte, was zu einer Nachfrage führte. Kann passieren.
Unternehmen 3
Die nächste Firma, die ich kontaktiert habe, hat auf drei Mails einfach gar nicht geantwortet. Heute habe ich zufällig bei Instagram gesehen, dass sie dort mit einer jungen Frau kooperiert haben, die im sechsstelligen Bereich Follower hat. Das scheint für sie interessanter zu sein, als ein Artikel in einer großen deutschen Zeitung.
Unternehmen 4
Beim nächsten Unternehmen bekam ich sehr schnell eine Antwort. Nämlich die, dass man an keinem der kommenden vier Werktage meine drei Fragen telefonisch beantworten könne, weil man kurz vor einer wichtigen Messe stehe.
Unternehmen 5
Die nächste Firma war vor drei Jahren schon einmal ein Gesprächspartner – und schied nun aus, weil sie vor zwei Jahren fusioniert haben und nicht mehr unter ihrem alten Namen am Markt sind.
Unternehmen 6
Eine weiteres, sehr großes Unternehmen wechselte mit mir 19 Mails, bis wir einen passenden Termin gefunden und die Telefonnummern abgeglichen hatten.
Unternehmen 7
Auch die nächste Firma kannte ich bereits von vor drei Jahren. Antwort auf meine Anfrage: „leider schaffen wir es aufgrund zahlreicher Termine und Projekte im Moment einfach nicht – gerade ‚Land unter‘.“ Ob das jetzt Fachkräftemangel ist oder einfach kein Interesse, kann ich nicht beurteilen.
Unternehmen 8 und 9
Eine weitere Firma war effizient: In acht Mails waren der Termin fix und die Zitate frei. Ein anderer Betrieb schaffte das in immerhin elf Mails.
Unternehmen 10
Als ich das zehnte Unternehmen anfragte, war ich schon in Zeitnot. Die Firma konnte wegen einer Messe keinen Telefontermin ermöglichen, hat aber die Antworten schriftlich geschickt – mit einigen Tagen Verspätung und auf den allerletzten Drücker. Fast hätte ich meiner Kundin sagen müssen: Klappt nicht. Insgesamt aber nur 13 Mails.
Probleme beim zweiten Artikel: ist es Fachkräftemangel?
Der zweite Artikel für denselben Kunden sollte nur drei Firmen vorstellen. Das Thema war durchaus spannend: Energiemangel. Ein großes Softwarehaus hat mich zunächst intern verwiesen. Von der zweiten Ansprechpartnerin wurde dann nach einer thematischen Einordnung gefragt und danach, wie viele Menschen in dem Artikel noch zu Wort kämen. Sie wollte gerne ein Vorabgespräch per Telefon führen, das aber nicht stattgefunden hat. Zwei Mails weiter wollte sie dann ein gedrucktes Exemplar der Sonderbeilage vom vergangenen Jahr zugeschickt bekommen. Jetzt ging es darum, den geeigneten Gesprächspartner zu finden. Weitere zwei Mails später bekam ich als Antwort: „Aufgrund von Urlaubszeiten und projektbedingten Abwesenheiten müssen wir Ihre Anfrage leider absagen.“
Das zweite Unternehmen kam in 13 Mails von der Terminanfrage bis zur Zitatfreigabe, das dritte benötigte zwölf Mails von der Anfrage bis zum Ende. Das vierte schaffte es in nur vier Mails. Rekord! Bis zur Veröffentlichung des Artikels fragten zwei Unternehmen nochmals an, ob der Text denn schon erschienen sei. Nach Erscheinen gab es noch Mailwechsel, wie man denn nun an die gedruckte Ausgabe kommen könnte. Dieser gesamte Aufwand für ein Honorar in Höhe von insgesamt knapp 600 Euro vor Steuern. Ehrlich gesagt nicht profitabel für mich.
Artikel 3 und 4: zwei Verbraucherthemen
Ähnlich wie mein Jahr geendet hatte, startete das neue. Zwei typische Verbraucherthemen für einen Kunden. Mit Thema eins und zwei habe ich eine Verbraucherzentrale angefragt. Zu Thema eins bekam ich die Antwort, man könne zu diesem Thema nichts sagen. Das ist ehrlich gesagt Quatsch. Ich habe darum eine zweite Verbraucherzentrale angefragt, die keine Kapazitäten hatten. Dann habe ich die Pressestelle einer Polizeibehörde kontaktiert, die mich an das Landeskriminalamt verwiesen hatte, weil sie selbst sich nur zu stadtgebundenen Anfragen äußern durften.
Das LKA hatte jedoch unter dem Präventionsgesichtspunkt keine*n Gesprächspartner*in, so dass ich eine andere Polizeibehörde anfragte, die dazu nichts sagen konnte, da es keine aktuellen Fälle gab. Alle Gesprächspartner*innen haben mich immer wieder auf Infos im Internet verwiesen. Die kannte ich aber erstens, zweitens ist Journalismus mehr als das Abschreiben bereits veröffentlichter Artikel. Ich habe mich darum an eine dritte Verbraucherzentrale gewendet und hatte dann endlich ein sehr effizientes und gutes Gespräch zum Thema.
Auf Thema 2 bekam ich von der ersten Verbraucherzentrale ebenfalls einen Verweis auf ihre Artikel im Netz sowie einige wenige Sätze und den Link zu einer Pressestelle eines Verbands. Dieser antwortete schnell, aber per Mail. Schade, schade. Ich hoffe sehr, dass ab Februar die Recherche wieder etwas geschmeidiger läuft. Obwohl – nach Neujahr ist vor Ostern. Vermutlich sind dann also viele noch dabei, alten Urlaub abzufeiern oder neuen zu nehmen oder in irgendeiner Krankheitswelle. Oder sie haben schlicht und ergreifend kein Interesse mehr daran, in journalistischen Publikationen ihre Zitate zu lesen.